Text: Noemi Harnickell

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BEIM BESTATTER

 

Die Beerdigung ist der letzte soziale Auftritt von Johanna K. Die Angehörigen werden noch einmal vor ihr sitzen, vielleicht ein Gebet sprechen, vielleicht ein Lied singen, vielleicht auch einfach nur still des Lebens gedenken, das Johanna K. hinter sich gelassen hat. Auf ihrer Nase sitzt die Brille, ein blauer Seidenschal bedeckt die Schultern, eine Brosche hält ihn vorne zusammen. Sie sieht aus, als würde sie gleich ausgehen, in ein schickes Restaurant vielleicht. Kurz nach ihrem Tod klingelte das Telefon des Bestatters. Liegt die Verstorbene im Krankenhaus oder im Heim, kann er sich Zeit dafür nehmen, sie abzuholen. Die Pflegerinnen im Heim kümmern sich. Liegt die Verstorbene im eigenen Bett, fährt der Bestatter sofort los. Auch in der Nacht. Die Trauerfamilie braucht seine Unterstützung.

 

Christian Sulzer, 43, ist Bestatter in Bern. Er wäscht und kleidet die Verstorbenen, entfernt Herzschrittmacher und frisiert Haare. Mit den Angehörigen bespricht er Trauerfeiern und Leidzirkulare, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Bestattungsarten. Er weiss Bescheid über alle Themen vom Beantragen des Todesscheins bis hin zur Auswahl der Blumen.

 

«Ich verspreche der Trauerfamilie immer als Erstes, dass am Ende meines Besuches keine Fragen mehr offen sein werden. Ein Todesfall ist kompliziert: Die Angehörigen müssen auf Ämtern vorbei, die Trauerfeier planen und Leidzirkulare versenden – ich bin ein Dienstleister. Ich sorge dafür, dass die Betroffenen nicht unter unnötigen Stress geraten.

 

Beim ersten Kontakt möchte ich von den Angehörigen erfahren, wie der Mensch gestorben ist. Wurde er überraschend aus dem Leben gerissen, oder war sein Tod vielleicht eher eine Erlösung? Befindet sich die Familie noch im Schockzustand? Diese Fragen definieren den Rest des Gesprächs.

 

Dann erst frage ich, was sie brauchen. Sind sie religiös? Wünschen sie eine Trauerfeier? Wie gross und wie schwer ist der Tote?

 

In unserer Geschäftsstelle können sie einen Sarg aussuchen. Italienisches Massivholz für Erdbestattungen, leichteres Material für die Kremation. Bedruckt mit einem Motiv der Sixtinischen Kapelle oder mit Bergen. Vielleicht wollen sie ihn lieber blank, damit die Kinder oder Enkel ihn noch bemalen können?

 

Die Pandemie erschwert die Einsargung. Holen wir einen Corona-Toten ab, müssen wir einen Schutzanzug tragen – eine FFP3-Maske und zwei Paar Handschuhe. Der Verstorbenen legen wir ein Tuch auf das Gesicht, bevor wir sie hochheben. Aus Mund und Nase kann nämlich Luft entweichen und mit ihr Aerosole. Wir betten sie in den Sarg, nehmen das Tuch wieder weg und ziehen die äusseren Handschuhe aus. Sobald wir den Raum mit dem Sarg verlassen haben, ziehen wir unsere Schutzanzüge aus, wechseln die Masken und desinfizieren unsere Hände.

 

Von den Angehörigen erfahre ich, woran die Person gestorben ist. Das hilft mir zu verstehen, was nun im Körper vorgeht. Gab es zum Beispiel einen Wiederbelebungsversuch, kann es vorkommen, dass der Organismus noch immer mit Adrenalin vollgepumpt ist, das er erst verarbeiten muss. Der Tote erbricht, uriniert und stuhlt womöglich noch einmal, denn er hat keine Kontrolle über seinen Schliessmuskel mehr.

Viele Leute haben Berührungsängste, wenn es um Tote geht.

 

Das ist in Ordnung.

 

Was die Verstorbene bei der Beisetzung trägt, entscheidet die Familie. Privatkleidung oder lieber ein schlichtes Totenhemd? Wenn sie uns die Kleidung zurechtlegen, ziehen wir sie der Verstorbenen an. Natürlich darf die Familie das auch selber tun. Im Heim macht es in der Regel das Pflegepersonal.

 

Haben Sie sich für eine Kremation entschieden, organisieren wir womöglich das Entfernen eines Herzschrittmachers. Die Lithiumbatterie ist entzündbar und könnte im Ofen explodieren. Das ist nur ein kleiner Eingriff: ein Schnitt mit dem Skalpell, das Gerät kommt raus, und die Wunde wird wieder zugenäht. Das dauert etwa zehn Minuten.

 

Dann stelle ich schon die nächsten Fragen: Wie möchten die Angehörigen die Trauerfeier gestalten? Wollen sie eine Todesanzeige aufschalten? Leidzirkulare versenden?

 

Seit Corona stellen sich diese Fragen weniger. Es dürfen nur 50 Leute zur Beerdigung kommen, aber ich rate davon ab, so viele Menschen einzuladen. Erstens muss die Familie entscheiden, wer überhaupt kommen darf und wer nicht. Zweitens haben wir die Erfahrung gemacht, dass es viele Menschen oft nicht mehr wagen, zu Beerdigungen zu kommen. Es ist nicht schön, eine grosse Trauerfeier vorzubereiten und dann doch nur zu viert am Grab zu stehen.

 

Eine andere Frage, die ich stellen muss: Wie viel Geld darf die Bestattung kosten? Selbst wenn Sie das günstigste Angebot nehmen, müssen Sie mit 1800 Franken nur für unsere Dienste rechnen. Die Kosten für das Krematorium, die Aufbahrung, den Blumenschmuck und die Grabpflege kommen noch dazu.

 

Eine Todesanzeige in der Zeitung? Das kostet noch einmal zwischen 300 und 1500 Franken, in überregionalen Zeitungen sogar noch mehr.

 

Bevor ich mich auf die Stelle des Bestatters bewarb, hatte ich noch nie bewusst einen Toten gesehen. Wer sich vor Toten ekelt, hat hier nichts verloren. Es kommt vor, dass ich nach einem Selbstmord die Schusswunde zunähen muss. Einmal räumten wir eine Viertelstunde lang Müll zur Seite, bevor wir überhaupt zum Verstorbenen gelangen konnten. Fliegen und Maden sassen auf dem verwesenden Körper. Wir trugen militärische Gasmasken. Das Auto mussten wir danach übrigens einen Tag lang lüften. Zum Glück passiert so etwas aber nur selten.

 

Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich stelle mir vielmehr die Frage, wie ich einmal sterben werde. Nach einer langen Krankheit oder im Stehen? Viele Menschen, die ich abhole, sehen zufrieden aus; ihre Gesichtszüge sind entspannt, und ich denke mir: Die Menschen sind in Frieden gestorben. Dafür setzen sich Spitäler und Heime ein.»



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