Text: Noemi Harnickell

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DIE SEELSORGERIN

 

Sie sitzt an Sterbebetten, hält Wasserflaschen an durstige Münder, befeuchtet trockene Lippen mit feuchten Wattestäbchen und redet mit den Menschen, die für viele als nicht mehr ansprechbar gelten. Helen Duhm ist Seelsorgerin, ihre Aufgabe ist das Trösten. Sie fängt lange vor dem Tod an – mit Diagnosen und ersten Ängsten vor der Endlichkeit des Lebens – und sie geht über den Tod hinaus in die Fragen über das Danach.

 

«Ich arbeite vor allem mit alten Leuten. Sie werden häufig still, wenn sie im Sterben liegen. Das ist auch verständlich. Ihr soziales Umfeld reduziert sich, die Mobilität nimmt ab und ihr Bedürfnis, mit vielen Menschen in Kontakt zu sein, schwindet. Dazu ziehen sich in der Sterbephase die Lebensfunktionen zurück. Der Körper verabschiedet sich.

 

Wenn ich weiss, dass jemand im Sterben liegt, ist für mich klar, dass ich die Person an ihrem Bett besuche. Jedes Sterben ist anders. Manche Menschen sind sehr gerne allein, andere halten das Alleinesein kaum aus.

 

Wenn ich einen Raum betrete, stelle ich mich mit ruhiger Stimme vor und erkläre, was ich mache. Ich gehe immer davon aus, dass die Patientinnen alles mitbekommen, was um sie her passiert, auch wenn sie nicht mehr ansprechbar sind. Die Wahrnehmungsebenen sind auf der emotionalen Ebene tiefer als auf der kognitiven. Der Patient bekommt viel von der Atmosphäre um ihn herum mit. Die Patienten brauchen meistens nicht mehr viele Worte, es reicht die Berührung einer Hand. Die Bedeutung liegt im Dasein.

 

Der Trauerprozess während der Lockdown-Massnahmen war oftmals hart. Angehörige konnten teilweise nicht an Beisetzungen teilnehmen. Im Heim mache ich immer eine kleine Abschiedsfeier, wenn jemand gestorben ist. Natürlich kennen sich die Heimbewohnerinnen oft nicht sehr gut, aber der Tod macht sie trotzdem betroffen. Die Frau, die am Nebentisch sass, ist plötzlich nicht mehr da, oder der Herr, den man beim Spazieren getroffen hat. Es gibt kein gemeinsames Leben mehr und darum auch kein gemeinsames Abschiednehmen.

 

Die meisten Menschen, die ich betreue, beschäftigen sich mit dem Thema Tod. Fast alle haben eine Patientenverfügung ausgefüllt. Manche haben Angst, andere sind zuversichtlich oder sehnen den Tod sogar herbei. Am schlimmsten ist es für Leute, die sich mit 95 noch nie mit der eigenen Endlichkeit auseinandergesetzt haben. Da überschlagen sich die Emotionen, wenn der Tod naht.

 

Manchmal gibt eine Patientin Geräusche von sich, die den Angehörigen Angst machen. Die Atmung verändert sich, sie röchelt und wirkt plötzlich verwirrt. Sterben ist ein Prozess, der von Mensch zu Mensch so unterschiedlich ist, dass sich von nichts sagen lässt, dass es dazugehört.

 

Dieser Wandel betrifft nicht nur die sterbende Person, sondern auch die Angehörigen. Die Beziehung zum Verstorbenen besteht nicht nur im Moment des Sterbens, sondern womöglich schon ein ganzes Leben lang. Am Sterbebett können Konflikte zur Sprache kommen und die Erinnerung an schöne Erlebnisse. Tränen der Trauer, sicher, aber auch Tränen der Freude.»



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